Die Seite befindet sich im Aufbau und wird verschiedene Anwendungen der Latonisation im Musikunterricht und im Chorgesang aufzeigen. Ein Interview mit einem Chorleiter gibt einen ersten Einblick in die Anwendung der Latonisation mit Laien.


"Da wird einem vieles geschenkt!"

!Latonisation in der Chorarbeit!

Wilfried Schnetzler,langjähriger Leiter der Bach Kantorei Appenzeller Mittelland und der Musikschule Appenzeller Mittelland gibt Auskunft über seine Erfahrungen mit der Latonisation in Chorarbeit und Instrumentalunterricht. Mit ihm gesprochen hat Meie Lutz, ehemalige Präsidentin des Vereins la.to.ni.


Wilfried Schnetzler, Sie arbeiten seit einiger Zeit in der Chorarbeit mit der Latonisation. Wie sind Sie zur Latonisation gekommen?

Kennengelernt habe ich die Latonisation durch meine Töchter, die beide die St. Galler Singschule besuchten. Im Studium, in der Schulgesangsausbildung hatte ich schon mal etwas darüber gehört, aber zu einer Auseinandersetzung mit dem System ist es damals nicht gekommen. Seit einiger Zeit arbeite ich nun mit einer Klavierschülerin, die auch die Singschule besucht. Anstatt die Noten mit C-D-E zu bezeichnen, hat sie sofort die Latonisation gebraucht. Das war ein guter Anlass, mich weiter ins System zu vertiefen und ich unterrichte inzwischen mehrere Singschüler, die Klavier lernen wollen.


Wann und wie begann im Chor die Arbeit mit der Latonisation?

Der Auslöser waren Schwierigkeiten in der Probenarbeit. Vor drei Jahren haben wir Werke von Heinrich Schütz erarbeitet. Dabei machte die Intonation dem Chor immer wieder Mühe, so dass ich das mit der Latonisation einfach mal ausprobieren wollte. Das Ergebnis war überraschend: Die Intonationsprobleme haben sich plötzlich gelöst. Auch vorher hatte ich ja versucht, mit Hinweisen zu gezieltem Hinhören und zur Orientierung zwischen den Stimmen etwas zu erreichen. Das hat aber nicht viel gebracht. Mit den Latonisationssilben wurde das Ganze dann plötzlich greifbar. Ich habe einfach den Notentext mit den entsprechenden Silben unterlegt und wir haben das so gesungen. Ohne dass die ChoristInnen das System gekannt haben, hat es plötzlich angefangen zu funktionieren.


Haben Sie früher in gleicher Konsequenz mit anderen Systemen gearbeitet?

Nein, im Chor nie. Ich habe auch früher jeweils über Tonarten gesprochen und auf harmonische Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Gesungen haben wir jeweils mit irgendeiner einheitlichen Silbe, die lediglich eine stimmbildnerische Funktion erfüllte. Jetzt, wo wir die Latonisation anwenden, werden die harmonischen Zusammenhänge natürlich hörbar und es macht Sinn, sich auf eine Tonart einzustellen, indem wir zum Beispiel zuerst Tonleiter und Kadenz singen.


Wie vollzieht sich der Übergang nach dem Erlernen des Notentextes zum Singen mit Text? Gibt es da Klippen zu überwinden?

Eigentlich wende ich Latonisation und Text auch bei einem neu zu erarbeitenden Stück parallel an. Dies hauptsächlich aus dem Grund, dass ich nicht möchte, dass die Latonisation den Leuten verleidet, wenn über längere Zeit ausschliesslich auf Silben gesungen wird. Der Wechsel von Silben und Text hat viele Vorteile. Es ist ja klar, dass der Text sofort wieder andere Schwierigkeiten mit sich bringt. Andererseits kann man auch die Latonisationssilben oberflächlich gebrauchen. Viel nützt es dann, wenn man auf eine gute Artikulation wert legt. Ähnlich wie ein Streicher, der in intensivem Kontakt mit der Saite ist, helfen die klar artikulierten Silben, mehr Klangqualität zu erzielen. So angewendet erfüllen sie eine wichtige stimmbildnerische Funktion und sind wegbereitend für das Singen des Textes.


Wie reagiert der Chor auf die neue Arbeitsweise?

Bis die Leute die Latonisation selbständig anwenden können, braucht es natürlich sehr viel. Mit geeigneten Unterlagen und indem ich eine bestimmte Tonart mal genauer anschaue, auch theoretische Erläuterungen gebe, wecke ich bei einigen schon Interesse und sie merken, was dahinter steckt. Es gibt auch ChoristInnen, die sich zuerst widersetzten und jetzt auf einmal begeistert sind. Viele benützen die Hilfsmittel, die ich abgebe – eine lineare Skala mit der Reihenfolge von Konsonanten und Vokalen, sämtliche Tonarten auf einem Blatt – um zu Hause die Noten mit den Silben zu ergänzen. Das freut mich natürlich, bedeutet es doch, dass sich die Leute auch zu Hause mit den geprobten Stücken auseinandersetzen.


Was hat sich an der Arbeitsweise im Chor geändert, seit die Latonisation als Hilfsmittel dient?

Durch die Latonisation ist die Arbeit zweifelsohne vielschichtiger geworden. Für mich ist sie jetzt noch spannender – und hoffentlich auch für die ChoristInnen.
Hat sich im Chorklang, im Arbeitstempo, an der Wachheit der ChoristInnen etwas geändert? Die Konzentration ist natürlich eine ganz andere. Die Leute konzentrieren sich mehr auf die Zusammenhänge in der Musik, sie hören auf andere Stimmen. Ich habe das ja früher auch versucht, es war aber sehr viel schwieriger zu erreichen. Mit der Latonisation wird einem da Vieles geschenkt. Zur Veränderung des Arbeitstempos kann ich nichts Genaues sagen, da sich unser Chor auch organisatorisch und strukturell verändert hat. Aber die Durststrecke, bis ein Notentext bekannt ist und man sich als Chor daran erinnert, dieser Prozess ist sicher einfacher geworden durch die Latonisation. Erstaunlich dabei ist, dass man das System nicht beherrschen muss. Es genügt, wenn die Silben in die Noten hineingeschrieben werden. Durch die blosse Anwendung ergeben sich Verbesserung in verschiedenen Bereichen. Die Arbeitsatmosphäre ist von einem wacheren Dabeisein aller geprägt und beim Klang zeigen sich wie gesagt Auswirkungen dank dem stimmbildnerischen Element der Silben, genauso bei der Intonation.


Würden Sie die Arbeit mit der Latonisation anderen ChorleiterInnen weiterempfehlen?

Auf jeden Fall. Man darf sich aber keine Illusionen machen. Die Latonisation ist ein komplexes System, das zu erarbeiten für Leiter und ChoristInnen mit Aufwand verbunden ist. Wenn aber jemand gewillt ist, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, lohnt es sich bestimmt. Eigentlich müsste dies innerhalb einer Chorleiterausbildung oder Lehrerausbildung geschehen, damit die Latonisation mit der Zeit zu einer Basis für jede musikalischen Bildung wird. Als ich durch meine Töchter damals erlebte, wie an der St. Galler Singschule mit den Kindern gearbeitet wird, hat mich fasziniert, was durch diese Arbeitsweise alles möglich wird. Auch wenn ich heute mit Singschülern im Klavierunterricht arbeite, erfahre ich das immer wieder. Wer die Latonisation kennt, hat einfach eine andere Vorstellung beim Musizieren. Eine innere Vorstellung. Es ist nicht mehr nur dieses mechanische Spielen, da kommt noch etwas dazu. Ich finde einfach, dass die Latonisation etwas ist, das jeder Musiker und jede Musikerin kennenlernen muss.


Warum diese Überzeugung?

Die Erfahrungen, die ich durch die Latonisation gemacht habe sind so wertvoll, dass ich überzeugt bin, dass sich eine ernsthafte Auseinandersetzung damit für alle lohnt. Mir gab die Latonisation viele Anregungen, ein anderes Nachdenken über musikalische Zusammenhänge und über die Chorarbeit. Früher habe ich verschiedenste Literatur beigezogen. Nie hat mich etwas völlig überzeugt. Nichts hat diese Logik. Übrigens ist die Latonisation nicht nur in der Chorarbeit anwendbar. Auch für Tasteninstrumentalisten ist das System, dieses tonartliche Denken absolut transparent und logisch.



Wo liegen die Grenzen in der Arbeit mit der Latonisation?

In meinen bisherigen Erfahrungen bin ich noch an keine Grenzen gestossen. In der atonalen Musik, in der Chromatik könnte man vielleicht mal irgendwo nicht weiterkommen. Die Latonisation ist in sich nicht ganz geschlossen. An einzelnen Stellen ergeben sich dadurch vielleicht Irritationen. Aber das sind Spitzfindigkeiten, die in der täglichen Chorpraxis unbedeutend sind. Unser musikalisches System ist ja an sich nicht geschlossen. Die Latonisation entspricht ihm deshalb wunderbar.