Die Latonisation unterstützt beim Verständnis musikalischer und harmonischer Zusammenhänge

Carl Eitz war auf der Suche nach einem Tonwortsystem für seine Schüler, das singbar ist und das absolut ist. Er strebte aber noch weit mehr an. Er wollte mit dem Tonwortsystem Hilfen geben, um harmonische Zusammenhänge der Musik abzubilden. Und er suchte nach Hilfsmitteln, die es den Anwendenden ermöglicht, die Musik die sie singen oder spielen schneller zu erfassen und zu verstehen. Er strebte deshalb nicht irgendeine Bezeichnung der Töne an, sondern er wollte die musikalische Realität damit abbilden. Die Anforderungen an ein Tonwortsystems formulierte Carl Eitz 1896 wie folgt:

  • Sie macht die Gliederung der diatonischen Leitern erkennbar, indem sie ganze und halbe Tonschritte unterscheidet.

  • Sie bezeichnet die chromatischen Stufen

  • Sie unterscheiden die enharmonisch verwandten Töne

  • Sie vermag alle notierten Töne zu benennen

  • Sie eignet sich zum Solfeggieren

  • Der Parallelismus gleicher tonaler Gebilde kommt zum Ausdruck

Lassen wir uns also diese Punkte genauer betrachten, wie sie in der Latonisation umgesetzt sind.

Unterscheidung ganze und halbe Töne

Schauen wir uns dazu den grundlegenden Aufbau der Latonisation an, sie besteht aus folgenden zwei Teilen

 

1. Chromatische Bezeichnung

(Chromatisch: Fortschreiten innerhalb einer Tonleiter ausschliesslich in Halbtonschritten)

 

In der Latonisation wird dazu jeder Klaviertaste, egal ob weiss oder schwarz, ein festbleibender Konsonant zugeordnet.

Die Konsonantenreihe ist nicht alphabetisch geordnet, ihr liegt ein System der wechselnden Laute (Augenblickslaut und Dauerlaut) zugrunde.

 

Klaviergraphik oben

 

Merkspruch: Bei rechtem Tun mach Ganze Sach, probiere Lustig die Freud kommt Nach!

 

2. Diatonische Bezeichnung

(diatonisch: Bezeichnung für Fortschreiten innerhalb einer Tonleiter in Ganz- und Halbtonschritten nach fester Ordnung)

 

Jede diatonische Stufe erhält einen Vokal zugeordnet, diese Vokalreihe ist alphabetisch geordnet.

 

Siehe auch nachfolgende Klaviergraphik: Diese Vokalreihe beginnt bei Eitz mit A = Ton G, weil er den Singunterricht ausdrücklich mit G-Dur beginnen wollte). In unserem heutigen Gebrauch (C-Dur) lautet die Reihe IOUAE .

 

 

3. Die Stammtonreihe Bi-Dur (C-Dur)

 

Als Stammtöne bezeichnen wir die nicht veränderten Töne der C-Dur-Tonleiter, also die weissen Tasten auf der Klaviatur. Diese Reihe entsteht durch Kombination der Konsonantenreihe und der Vokalreihe:

 

  • Konsonantenreihe:
    - Fortschreiten um 1 Position bei einem Halbtonschritt
    - Fortschreiten um 2 Positionen bei einem Ganztonschritt

  • Vokalreihe
    - Repetition des Vokals bei einem Halbtonschritt
    - Fortschreiten um eine Position bei einem Ganztonschritt

 

 


 Die erste von Carl Eitz erwähnte Anforderung, dass innerhalb der Tonleitern Ganz- und Halbtöne unterschieden werden können, wird perfekt umgesetzt. Gu-Su und Ni-Bi bleiben auf dem selben Vokal. Eine enorme Hilfe nicht nur beim Singen, sondern auch bei richtigen Tonvorstellung beim Spielen von Instrumenten. Diese Logik gilt übrigens für alle Dur Tonleitern und ebenso für alle Moll Tonleitern, und zwar sowohl für harmonisches, natürliches und melodisches Moll!

 

Bezeichnung chromatische Stufen

 

Die 2. Forderung, die Eitz stellt, ist, dass chromatische Halbtöne bezeichnet werden und damit von leitereigenen wie wir sie im letzten Kapitel kennengelernt haben unterschieden werden können.

 

Dies wird in der Latonisaton so umgesetzt, dass bei einer chromatischen Erhöhung (#) sowohl in der Konsonantenreihe als auch in der Vokalreihe um eine Position fortgeschritten wird. Nehmen wir wieder die Bi-Dur (C) Tonleiter, in der wir den chromatischen Ton Pa (fis) nehmen. Vom geschriebenen Grundton Su (F) wird 1 Konsonant und ein Vokal fortgeschritten, was dann Pa (fis) ergibt. Der Halbton von Su nach Pa wechselt also im Gegensatz zu den leitereigenen Halbtönen (Gu-Su und Ni-Bi) den Vokal und erfüllt damit diese Anforderung von Carl Eitz. Bei erniedrigten Tönen (b) passiert übrigens die selbe Logik einfach um eine Konsonanten und einen Vokal rückwärts in der Reihe (Ni -Ke).

 

 

Auch hier bildet Eitz harmonische Musikzusammenhänge perfekt ab. Es ist nämlich so, dass im Beispiel von oben das Pa (fis) nicht etwa zu Su (f) gehört, wie das die Notenschrift und das C-D-E auszusagen scheinen, sondern das Pa gehört harmonisch in diesem Zusammenhang eben zum La (g). Dies ist erkennbar durch den selben Vokal, der verwendet wird.

 

 

Machen wir ein konkretes Beispiel: Bi Gu La Bi Ni Bi Bi Fe-> Pa La Su Gu

Bi Ni Bi sind eine Einheit (innerhalb der Bi-Dur Leiter), und Pa-La sind eine Einheit (obschon Pa in Bi-Dur leiterfremd und chromatisch ist. Der Akkord mit dem Pa ist ein Leitakkord zum nachfolgenden C5 hin.

 Diese Eigenschaft führt zu einem besseren Verständnis der Harmonien und ganz klar zu sauberer Intonation. Das ist vermutlich einer der Gründe, dass offensichtlich bereits das Anschreiben der Latonisation und ablesen, ohne dass man das System beherrscht und kennt zu besserer Intonisation führt (siehe Interview Wilfried Schnetzler: Anwendung in der Chorarbeit). Meines Wissens ist die Latonisation die einzige Methode, welche diese musikalische Regel richtig abbildet.

 

Unterscheidung enharmonisch verwandete Töne

 

 

Diese Forderung erfüllt die Latonisation, ebenso wie das C-D-E. Pa (cis) wird dabei anders benannt als Pu (ges). Es ist ja auch so, dass diese beiden Töne nicht exakt dieselben sind, obschon es auf dem Klavier die selbe Taste ist. Letztendlich zielt ein Pa (fis) zum einem La (g) und ein Pu (ges) zu einem Su (f) hin. Rein physikalisch ist ein Pa (fis) leicht höher als ein Pu (ges). Der kleine Unterschied lässt sich physikalisch erklären wenn man in reinen Quinten den Quintenzirkel in die eine oder andere Richtung geht. Man trifft sich da nicht genau zu 100%, aber das würde den Umfang dieses Artikels jetzt sprengen.  

Auch da hilft die Latonisation aber wieder mit, dies ganz automatisch zu erkennen, wiederum durch die Vokalverteilung. Pa (zu La) und damit leicht höher als Pu, welches zu Su hin geht.

 

Sie vermag alle notierten Töne zu benennen

 

Diese Forderung erfüllt die Latonisation, ebenso wie das C-D-E. Beide Methoden sind absolut, das bedeutet, dass jeder Ton stets die gleiche Benennung hat, egal in welcher Tonart und in welchem Zusammenhang. Meiner Meinung nach eine Notwendigkeit, wenn man komplexe Musik einstudieren möchte.

 

Sie eignet sich zum Solfeggieren

 

 

Damit meint Carl Eitz, dass ein Tonwortsystem singbar sein sollte. Das erfüllt die Latonisation und die Solmisation, aber das C-D-E eben leider nicht.

 

Der Parallelismus gleicher tonaler Gebilde kommt zum Ausdruck

 

Damit meint Carl Eitz, dass gleiche musikalische Zusammenhänge durch die Tonsilben zum Ausdruck kommen.

 

Wir haben bereits gesehen, dass innerhalb der Tonleiter durch die Vokalverteilung die Verteilung der Ganz- und Halbtonschritte leicht ersichtlich wird. Weil das für sämtliche Tonleitern gilt, wird eben sofort erkennbar, dass es sich um das selbe Gebilde handelt.

 

Auch die Regel der chromatischen Halbtöne kann man hier dazu zählen, weil überall wo chromatische Halbtöne vorkommen diese Regel zur Anwendung kommt.

 

Ein dritter wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung von kleinen und grossen Terzen:

Diese ist mit der Latonisation gut erkennbar. Es geschieht wiederum durch die Verteilung der Vokale (und Konsonanten). Relevant - weil leicht erkennbar - ist der Unterschied bei den Vokalen.

 

Regel Latonisation kleine Terz

 

  • Fortschreiten in der Konsonantenreihe 3 Positionen

  • Fortschreiten in der Vokalreihe um 2 Positionen

  • To - Su (d-f)

 

Regel Latonisation grosse Terz

 

  • Fortschreiten in der Konsonantenreihe 4 Positionen

  • Fortschreiten in der Vokalreihe um 3 Positionen

  • To - Pa (d-fis)

 

Der Unterschied in der Vokalreihe ist sofort erkenntlich und gibt einem beim Lesen der entsprechenden Silben sofort die entsprechende Unterstützung, was einem wiederum beim Blattsingen, aber auch beim Verinnerlichen der Stücke und auch beim korrekten Intonieren hilft.

 

 


Fazit

 

Von den sechs von Carl Eitz erwähnten Punkten ist die Latonisation die einzige Methode welche alle diese Punkte erfüllt, die anderen Methoden erfüllen sie teilweise, aber nicht zu 100%. Von da her sehe ich schon grosse Vorteile für alle, die bereit sind, sich mit der Latonisation auseinanderzusetzen und ihre Vorteile zu nutzen. Carl Eitz hat ein geniales System für die Benennung von Noten erfunden, welches einem in ganz vielen Bereichen unterstützt. Wie wir erkennen können, hat er nicht einfach irgendwelche Bezeichnungen gewählt, sondern ganz gezielt nach Lösungen gesucht, die musikalischen Realitäten bestmöglichst abzubilden. Um diesen Artikel zu verstehen sind natürlich einige musikalische Grundkenntnisse notwendig. Das geniale an der Latonisation ist jedoch, dass unser Gehirn anhand der aufgezeigten Punkte ganz automatisch und auch ohne detaillierte Kenntnisse der zu Grunde liegenden Theorie wichtige Schlüsse zieht und umsetzten kann - die Latonisation hilft bereits enorm, ohne dass man sich durch lange Theoriestunden gekämpft hat. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es keine Theorie braucht. Es hilft, die Theorie auch noch zu erlernen und zu verstehen, im Bereich der Berufsmusik ist das natürlich sowieso unumgänglich. Aber man kann die Latonisation auch dort nutzen, wo vielleicht die Zeit fehlt detaillierte Theorie zu machen, oder auch auf Stufen wo der Schwerpunkt noch nicht allzu sehr auf Theorie liegt.

 

 

All diese Zusammenhänge sind der Grund, weshalb ich auch für Instrumentalisten grosse Vorteile in der Latonisation sehe. Natürlich kommt ein Instrumentalist auch mit dem C-D-E zum Ziel, er muss ja nicht singen, und er muss auch nicht zwingend eine Vorstellung davon haben, wie das tönen soll was er spielt, wenn er bei der entsprechenden Note die richtige Taste drückt oder den richtigen Griff wählt dann tönt es. Aber aus meiner eigenen Erfahrung mit der Violine und dem Klavier kann ich sagen, dass es natürlich auch da enorm hilft, wenn ich die Töne schon innerlich höre und die harmonischen Zusammenhänge verstehe bereits wenn ich die Noten lese. Da ist man schneller, spielt reiner und kann meiner Meinung nach auch gestalterisch und kreativ aktiver und besser sein.

 

Christian Brassel, Präsident la.to.ni

 

Vielen Dank an Jürg Kerle, langjähriger Singschulleiter Chur und Vorstand la.to.ni für die Unterstützung beim Erstellen dieses Artikels